FAQ

Industrie im Sudetenland

Industrialisierungsgrad vor 1918: Das Sudetenland wies vor dem Ersten Weltkrieg den weltweit höchsten Industrialisierungsgrad auf:

Sudetenland    - 54 %
Schottland       - 49 %
England          - 46 %
Schweiz          - 45 %
Belgien            - 42 %
Deutschland    - 40 %
Niederlande    - 35 %
Frankreich     - 32 %
(Quelle: Lodgman von Auen, Hrsg., Deutschböhmen, 1919, S. 121)


Industriezentren:
Asch, Graslitz, Aussig, Brünn, Brüx, Reichenberg, Gablonz, Mährisch-Ostrau, Brünn, Pilsen

Deindustrialisierung zwischen 1918 und 1938:
Das Übergewicht der sudetendeutschen Wirtschaft in der neuen CSR beschreibt der Tscheche J.Heyda (sh. Rudolf HEMMERLE, Sudetendeutsches Lexikon, S. 212). Sie mußte es daher besonders treffen, als sich die neue Regierung weigerte,  Kriegslieferungen zu bezahlen und Kriegsanleihen einzulösen. Alles in allem schrumpfte die Zahl sudetendeutscher Industriebetriebe zwischen 1918 und 1934 von
8.574 auf 4.463 (minus 4.111),
während die Zahl der tschechischen von
2.144 auf 6.696 (plus 4.552
)
stieg (PFITZNER, S. 47, S. 62). Letztere entstanden meist im Landesinneren und konkurrierten, z.T. gestützt auf Staatsaufträge, mit den sudetendeutschen Betrieben.  Wenzel JAKSCH (S. 270) sprach 1936 vom prosperierenden Landesinneren im Gegensatz zum notleidenden Sudetenland. Der Verfall der sudetendeutschen Industrie hatte daher nur bedingt etwas mit der Weltwirtschaftkrise zu tun. Leider ließ auch die tschechische Sozialdemokratie jede Solidarität mit der notleidenden sudetendeutschen Arbeiterschaft vermissen. Ceske slovo stellte fest, daß seit Bestehen der CSR noch keiner ihrer Wirtschaftsminister das Sudetenland besucht hätte.

Quellen: JAKSCH, W., Europas Weg nach Potsdam, 1958, PFITZNER, Jos., Das Sudetendeutschtum, 1938; Herbert HEIDE, Der Notschrei der Glasindustrie, Nordböhmischer Volksanzeiger, 5.3.1930, abgedruckt in: Sudetenland, 2002/Heft, S. 358 ff.;  Politische Studien, München, Nr.224, Nov./Dez.1975

Die Steuerleistung der Sudetendeutschen: Um 1860 war die wirtschaftliche Leistungskraft der tschechischen Gebiete noch höher als die der kargen deutschböhmischen Randgebiete. Danach hat sich das Verhältnis umgekehrt, so daß nun ein deutscher Steuerzahler etwa um den Faktor 1,35 leistungsfähiger war als ein tschechischer.
Nach HOENSCH, (S. 432) wurden in den 1938 abgetretenen Gebieten bei 23,5 % Bevölkerungsanteil immer noch 40 % des Nationaleinkommens erwirtschaftet, wobei noch zu beachen ist, daß zu den abgetretenen Gebieten auch schwach entwickelte Landesteile in der Slowakei und Karpatorußland zählten.  Nach dem Münchner Abkommen sollten Anleihen aus England und Frankreich den Steuerausfall ausgleichen. Als diese nur zum Teil gezahlt wurden, kam die “Resttschechei” ins Straucheln.

Literatur: BOSL, Karl, Handbuch der Geschichte der böhm.Länder III;  FEIERABEND, Ladislav, Prag-London vice-versa, New York 1971; HOENSCH, Jörg K., Geschichte Böhmens, 1997;  SCHUBERT, A., Das Deutschtum im Wirtschaftshaushalt Österreichs, 3 Bände,1905-1907; HERTZ, F., The Economic Problems of the Danubian States, London 1947; von WIESER, Die deutsche Steuerleistung und der öffentliche Haushalt in Böhmen, in Deutsche Arbeit, 3.Jahrgang, Heft 1-3, 1903

 

Steuermoral
CSR-Finanzminister Dr. Kalfus nannte es für seine Landleuten beschämend, daß die Steuermoral der Sudetendeutschen höher sei, als die der tschechischen Steuerpflichtigen.
(Fundstelle: PLEYER, Wilh., Europas unbekannte Mitte, S. 165 f.)

Arbeiterbewegung:
Die Bedingungen der industriellen Arbeitswelt zwangen die Arbeiter schon früh zu Zusammenschlüssen. Am 30.10.1863, also nur fünf Monate nach Lasalle in Leipzig, entstand in Asch der erste Arbeiterverein, nicht nur des Sudetenlandes, sondern  ganz Österreichs. Als Wiege der deutschböhmischen Arbeiterbewegung muß man aber Reichenberg bezeichnen, wo der Tuchmacher Wilhelm Schiller 1866 die erste sozialdemokratische Organisation gründete. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs hatte 1877 sogar für dreieinhalb Jahre ihren Sitz in Reichenberg. Aus Schönborn bei Reichenberg stammte auch Josef Seliger, der bedeutendste Arbeiterführer des Sudetenlandes (1870-1920).

 

Mythos Marshallplan: Viele Tschechen bedauern, daß Ihnen 1948 verwehrt wurde, die Marshallplan-Hilfe entgegenzunehmen. Sie vergessen dabei aber, daß ihnen durch die Enteignung der Sudetendeutschen pro Kopf ein rund achtzig Mal höherer Betrag zufloß als den Deutschen. Diese mußten sich mit 27,56 Dollar pro Kopf zufrieden geben, die, anders als bei Frankreich und England, verzinst und zurückgezahlt werden mußten, was bereits 1954 geschehen war.  Die tschechischen Klagen sind auch wegen der umfangreichen UNRRA-Zuwendungen unberechtigt. 1945 betrugen sie das Dreifache des CSR-Exportes und 1947 machten sie 70 Prozent aller CSR-Importe aus (KAPLAN, S. 38). Außerdem war das Land weitgehend von Kriegszerstörungen oder gar Demontagen verschont geblieben.

 Quellen: Karel KAPLAN, Der kurze Marsch, München-Wien 1981; HABEL, Fritz-Peter, Dokumente zur Sudetenfrage 1984

Geschichtliche Leistung: Im 18. und 19. Jahrhundert “reiften die Sudetendeutschen  zu den Trägern der gesamten industriellen Erzeugung des weiten Habsburgerreiches heran, womit sie eine der größten Leistungen ihrer Geschichte überhaupt vollbracht haben.”
(Prof. Josef Pfitzner, Das Sudetendeutschtum, April 1938, Seite 18)